Der DAX des Nordens
Beate Uhse - Ehehygiene und 0190-Service

Testpilotin mit Mut zur "Schrift X"
Begonnen hat Beate Uhse mit einem Versandhandel. Die ehemalige
Testpilotin im Rang eines Hauptmanns der Luftwaffe war im Frühjahr 1945
in einem quasi gekaperten Wehrmachtsflugzeug aus dem eingeschlossenen
Berlin in das nordfriesische Dörfchen Barderup geflohen. An Bord hatte
sie ihren zweijährigen Sohn Klaus. Zunächst betrieb sie einen
fliegenden Handel mit Bauchladen und Reisegewerbeschein. Es soll die
Nachfrage nach Broschüren zur Empfängnisverhütung gewesen sein, die sie
veranlasste, selbst ihre "Schrift X" zu erstellen. In verständlicher
Form erläuterte sie dort die Knaus-Ogino-Methode. Sie verlegte und
verschickte die Broschüre eigenhändig für zwei Reichsmark das Stück und
legte so den Grundstein für einen Versandhandel, der heute die
europäische Marktführerschaft beansprucht. 1951 gründete Beate Uhse in
Flensburg das "Spezial-Versandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für
hygienische Artikel" und verhalf der jungen Republik diskret und anonym
zu neuen Perspektiven. Bis heute verschickt das Flensburger Versandhaus
fünfmal im Jahr einen Katalog. Der Versandhandel ist Keimzelle der
Beate-Uhse-Gruppe und stellt nach dem Einzelhandel die stärkste
Umsatzsparte dar. Rund 700 Prozesse ohne nennenswerte Folgen
"Sie war mit Sicherheit keine feministische Vorreiterin", beschrieb sie
Corinna Rückert, eine ehemalige Mitarbeiterin, in einem taz-Interview.
"Ich habe sie als eine unglaublich kreative, scharfsinnige und
durchsetzungsfähige Frau
kennengelernt." 3000 Ermittlungsverfahren und 700 Prozesse, von denen
keiner nennenswerte Folgen hatte, begleiteten die Firmengeschichte in
den 50er und 60er Jahre. 1962 eröffnete Beate Uhse in Flensburg 1962
den weltweit ersten Erotikshop - damals noch sachlich und züchtig
"Institut für Ehehygiene" genannt. Im Sortiment: Dessous, Magazine,
Bücher, Verhütungsmittel, pharmazeutische Präparate und
Stimulationsartikel. Vierzig Jahre später sind daraus europaweit 97
Ladengeschäfte geworden, über die Hälfte in Deutschland. Aber auch in
den Beneluxstaaten und Frankreich hat die Marke in den letzten Jahren
einen festen Platz unter den Erotikanbietern gefunden. Aktuell ist das
Unternehmen in zwölf europäischen Ländern vertreten, über den
Versandhandel werden 50 Länder versorgt. Börsengang und Expansion
Der Börsengang des Beate-Uhse-Konzerns war einer der medienwirksamsten
der letzten Jahre. Das Geschäft mit Lust und Erotik versprach ein
sicheres zu sein. Das Wertpapier aus Flensburg ging 64fach überzeichnet
an den Start. Zeitgleich zum Börsengang expandierte der Konzern im
europäischen Markt: 1998 übernahm Beate Uhse den
Versandhandels-Mitbewerber Becker und ein Jahr später den
niederländischen Konkurrenten Pabo B.V. Aus diesem Zuwachs erklärt sich
auch die Umsatzentwicklung des Konzerns. Um über 100 Millionen stieg
der Umsatz binnen dreier Jahre an und belief sich 2001 auf 222,8
Millionen Euro. Im selben Zeitraum wuchs die Anzahl der Mitarbeiter von
722 auf 1.173.Vom Handelsunternehmen zur Erotik & Entertainment Company
Die Beate Uhse AG umfasst heute elf verschiedene Einzelfirmen, die mit
Telefonservice, Film- und Videoproduktionen, Groß-, Einzel- und
Versandhandel den gesamten erotischen Bereich umspannen. Mit der neuen
Sparte Entertainment versucht der Konzern eine Umstrukturierung vom
reinen Handelsunternehmen zu einer Erotik & Entertainment Company.
Ein eigener Fernsehsender geht zwischen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr unter
dem Dach von Premiere als Beate Uhse TV auf Sendung. Hinter vielen der
0190er-Nummern steckt ebenfalls Beate Uhse. 300 Internetdomains mit
100.000 Zugriffen pro Tag verschaffen dem Konzern zwar eine
marktführende Position auf dem deutschen Online-Erotik-Markt. Dennoch
ist die Umsatzentwicklung bei der Vermarktung erotischer Inhalte per
Internet, Telefon und TV leicht rückläufig. Schuld daran sind die
enttäuschenden Erlöse aus dem Online-Geschäft.Den Playboy knacken
Große Hoffnungen setzt der Konzern auf eine weitere internationale
Expansion und eine Überarbeitung des Firmenkonzepts. Beate Uhse soll
europaweit als Dachmarke eingeführt und eine Light-Version von
Sex-Shops entwickelt werden. Mit Blick auf den US-amerikanischen Markt
scheint diese Imagekorrektur geboten, aber auch in europäischen
Fußgängerzonen könnten so neue Kunden gewonnen werden. Den Playboy als
weltweit umsatzstärksten Konkurrenten hofft Vorstandschef Otto
Lindemann innerhalb der nächsten Jahre zu knacken. Schon jetzt zielt
das Unternehmen mit einer Beteiligung am australischen
E-Commerce-Unternehmen SharonAusten.com verstärkt auf die weibliche
Klientel - und auf den außereuropäischen Markt. Fotos: Beate Uhse AG / NDR Online